Ein Lebebuch
Das Manuskript ist fertig, Verlage und Agenturen kontaktiert. - Jetzt ist Geduld und langer Atem gefragt beim Prozess der Veröffentlichung.
Soviel vorab: Es handelt sich um einen Entwicklungsroman, um den schmerzhaften Prozess des Protagonisten zur Selbstbefreiung aus den dunklen Schatten der elterlichen Kriegstraumata. Schweigen und Gewalt sind seine einschneidenden Jugenderfahrungen. Wie überlebt man das? Ein Rettungsanker ist für ihn klassische Musik, die von Leser*innen auf Wunsch leicht nachhörbar ist. Ein dunkles Familiengeheimnis bildet den roten Faden und, wie der Autor zu hoffen wagt, einen nachhaltigen Spannungsbogen durch Wechselbäder von Vernachlässigung, Übergriffen, Selbstzweifeln und amourösen Erfahrungen ...
DIE VERSTIMMUNG DES A
Von klein auf ist Simon von der magischen Kraft der Musik des kriegstraumatisierten Vaters fasziniert. Sie wird Simons machtvoller Fluchtpunkt, nachdem der Opa gestorben, seine Mutter oft außer Haus und er als Achtjähriger Zeuge ist, wie sein Vater beim Betrachten eines seltsamen Andenkens an den im Krieg gefallenen Schwager mit einem Schlaganfall zusammenbricht. Die Schallplatten des Vaters sind der Klangschatz, aus dem Simon Trost, Geborgenheit und Lebensfreude schöpft. Versteckt darin entdeckt er eine rätselhafte Postkarte.
Die Abschiebung ins Internat trennen ihn von seinem letzten emotionalen Halt. Dort verdichten sich ausweglose Einsamkeit und perfide sexuelle Übergriffe zu einer Spirale der Gewalt und Hoffnungslosigkeit. In dieser Finsternis leuchtet urplötzlich der Fund einer Bratsche wie ein verheißungsvolles Versprechen auf. Unversehens vor das Tribunal der Heimleitung gestellt, sieht er sich rätselhaften Anschuldigungen ausgesetzt: Geht es um den arglosen Musikkontakt zu Helena, angehende Novizin des Klosters? Der haltlose Vorwurf, sich ihr unsittlich genähert zu haben, droht ihm zum Verhängnis zu werden. Wird ihm die Musik jetzt noch helfen können?
Eine kleine Leseprobe:
Ach schlage doch bald
Ehe Vati zum Gelben Onkel greifen würde, musste Simon rasch seine Kugeln in Sicherheit bringen. Er würde schreien müssen. Mit Musik? Er wusste ja, was kam. Da wollte er zuhören. Aber wie? Und die hier klang –, er fand keine Worte für das Vibrieren in seinem Körper. Wie bloß still bleiben dabei? Sonst machte Vati die Musik immer aus, bevor er hochkam. Warum jetzt nicht?, fragte er sich verwundert, während das Knarren der Stufen sich unerbittlich in die Töne verbiss.?
Dabei Er hatte er so leise gespielt, wie er konnte. Wegen Vati. Wegen der Klänge, die sich durch die rissigen Dielen drängten. Ja, auf der Fahrt über Meer , sein Bettmeer, durch den Stuhltunnel, dann den Tischberg hinauf, seinen steilsten Berg, waren von seinem heiß geliebten Lastwagen Lastwagen zwei Holzkisten abgerutscht, die schillernden Glaskugeln darin herausgesprungen und hart aufhüpfend über den ganzen Boden gekollert. Eine hatte er aufschnappen und ihr Poltern verhindern können. Aber die anderen ...
War das von Bach? Dieser Schwall himmlischer Klänge, der durch die Tür inmitten des Zornsturms über ihn hereinbrach?
Von Zeit zu Zeit, zu selten, fand Simon, nahm Vati ihn mit in sein Arbeitszimmer, das unter seiner Dachkammer lag. Dort spielte er an einem schrecklich verstimmten Klavier, dem drei Elfenbeinauflagen fehlten und das beim hohen C schmerzhaft klirrte. Der gichtige alte Hauptlehrer der Dorfschule hatte es ihm überlassen. Bisweilen nahm er die Geige zur Hand. Die liebte Simon abgöttisch. Einmal hatte er sie greifen dürfen. Zu kurz, viel zu kurz. Oder Vati griff unter seinen Schreibtisch in eine schäbige Holzkiste, seine ‚Schatzkiste‘, die sich auf wundersamen Wegen, vor allem durch Opas Findigkeit, nach und nach gefüllt hatte. Simon wartete gebannt auf die schwarze Scheibe, die dann zum Vorschein kam. Auf ihr war nichts recht zu erkennen, bis sie sich auf ihrem Teller zu drehen begann. Knistern und Knacken verwandelten sie zu einer Zauberscheibe, denn, oh Wunder, plötzlich waren Instrumente zu hören, Geigen, Trompeten und Gesang. Simon saß mucksmäuschenstill. Lauschte. Vati erzählte ihm von Bach und Mozart, von Beethoven und anderen, die er sich nicht alle merken konnte. Einmal, Mahler hieß der Komponist lustigerweise, stellte er sich vor, wie der mit einem Tonpinsel bunte Klänge malte, Tupfer, Striche, wilde Tonkleckse, tosende Klangmeere, und darüber eine leuchtende Sonne, die er gehört hatte, als viele Trompeten ihn am Ende des langen Stückes in eine fantastische Zauberwelt strahlten: Lichtschlangen, Blumenblitze, Farbfontänen, Feuerkaskaden. Just, als er Opa von ferne auf sich zukommen sah, hatte rüttelte und schüttelte ihn sein Vater gerüttelt: ‚Simon, aufwachen! Hörst du? Marsch ins Bett!‘
Benommen war er die Treppe hochgestolpert. Er war doch wach gewesen! Wäre gerne in dem wunderbaren Zauberland geblieben. Aber wie wieder hinkommen ohne Musik? In letzter Zeit hatte Vati ihn leider nicht oft mit in sein Zimmer genommen. Zum Glück hatten die alten Bodendielen Ritzen, durch die sich die Klänge ihren Weg hinauf in sein Kinderreich bahnten. Manchmal, seit Opa nicht mehr da war und, Mutti oft auch nicht, und Vati Ruhe bei seiner Arbeit gebot, lag er gedankenverloren auf dem Boden und suchte in den Astlöchern der rauen Bretter das Tor zu dieser fantastischen Wunderwelt. Manchmal hörte er ihre lockenden, tröstenden Stimmen. War glücklich.
Wie er krampfhaft lauschend so mit den Armen über der Stuhllehne hing, von Vatis eisernem Griff im Nacken über die Stuhllehne gebogen, trafen ihn die Klänge, die von unten durch Tür und Boden herauf schwebten, tief mit der Schärfe der Schläge. Tränen traten ihm in die Augen. Das passierte ihm oft, er konnte nichts dagegen tun. Das kam nicht vom Stock. Der verzerrte ihm das Gesicht zu tonlosem Schrei. Die Instrumente hier kannte er nicht; geblasen, aber keine Trompeten, dabei so glühend, dass sie ihm wiegende Sehnsucht ins Herz brannten und Honigsüße über den reißenden Schmerz träufelten.
Was sang der Mann denn da? Er verstand nicht alles. Manche Wörter verloren wie Opas Rauchkringel auf dem Weg himmelwärts ihre Umrisse, manche wurden vom satten Klatschen auf sein mageres Hinterteil zerschlagen. Simon wunderte sich: Gab es Musik, die dazu aufforderte, was Vati tat? Er tat es ja zusammen mit der Musik, im Einklang. Takt hieß das, hatte er von ihm gehört. Exakter Rhythmus, unerbittlich sauste der Stock. Sattes Klatschen auf Po und magere Beine. Musik von Bach, vermutete er. Wenn das doch nie aufhörte. Das von Vati schon.
‚Ach‘, hörte er wiederholt durch das stoßweise Keuchen über sich, ‚Schlage doch bald!‘. – Ach ja, er wünschte sich, als er von unten in die schräg durch die Dachluke einfallenden Wintersonnenstrahlen blickte und den Staub frei und unbeschwert in ihnen tanzen sah, sein Opa wäre noch da, würde Vati in den Arm fallen wie früher einmal, würde ihn hier raus holen und er könnte seiner Aufforderung folgen, die er jetzt von unten hörte: ‚Komm, komm, ich reiche dir die Hände!‘. Opa fehlte; die Musik wiegte ihn. Trug und tröstete seine geschundene Seele.
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Christoph Scholz-Tochtrop